Lehrstühle sollen auch für militärische Zwecke forschen dürfen, so die Forderung der JuLis Darmstadt und der LHG Hessen – aufgrund vorteilhafter Seiteneffekte, der verfassungsmäßigen Forschungsfreiheit und vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs.

“Wir verschwenden massiv Innovationsmöglichkeiten – aus rein ideologischen Gründen”, kommentiert Fabian Witzel, Landesvorsitzender der Liberalen Hochschulgruppen (LHG) Hessen, die Pressemitteilung der Jusos Hessen, welche die Zivilklausel behalten wollen. “Die Festnagelung auf ideologische Denkmuster ist erschreckend”, ergänzt er. Es sei an der Zeit, dass wir uns von solchen Ansichten lösen und uns auf eine sachliche Perspektive einlassen. Es sei nicht verständlich, warum die Jusos Forschung zur Verteidigung so moralisieren. “Die Kooperation von Universitäten und Industrie ist eine wichtige Errungenschaft, um die erfolgreiche Forschung in die Praxis umzusetzen“, so Witzel weiter. “Doch die Zivilklausel gefährdet diese Errungenschaft. Spätestens der Ukrainekrieg hat uns vor Augen geführt, wie nötig militärische Forschung ist.” Die USA, welche über die DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) jährlich Militärforschung in Milliardenhöhe fördern, könnten im schlimmsten Fall als Sicherheitsgarant für Europa wegfallen, wenn sich ihr Fokus weiter auf Asien verlagert. Wenn das passiert, muss Deutschland die Weiterentwicklung der Militärtechnologien in Europa führend übernehmen, sonst droht eine gefährliche Deklassierung durch Russland und China.

Zivilklausel mit Forschungsfreiheit unvereinbar

“Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei”, fordert Artikel fünf des Grundgesetzes. Doch an vielen Universitäten wird die Freiheit der Forschung durch Zivilklauseln unnötig eingeschränkt. ”Für viele ist es ein moralisches Dilemma, an Rüstungsgütern zu forschen“, betont David Brauch, Vorsitzender der LHG Darmstadt. Doch dies dürfe nicht die Freiheit aller anderen Professoren und Professorinnen einschränken, welche in Zeiten von Krieg in Europa auf diese Art einen Beitrag für die Sicherheit unserer Gesellschaft leisten wollen. Es gehe ihm um die Möglichkeit zur freien Forschung, nicht um den Zwang. “Es sollte jedem Lehrstuhl freistehen, an welchen Themen sie forschen möchten und an welchen nicht.”

Attraktivität der TU Darmstadt reduziert

“Die Zivilklausel in ihrer jetzigen Form schränkt sogar den Lehrbetrieb ein”, kritisiert der Vorsitzende der LHG Darmstadt weiter: “Wer etwa in bestimmten Teilen der Luftfahrt eine Abschlussarbeit schreiben oder darin forschen möchte, hat diese Möglichkeit nur bei der Konkurrenz. Damit schränken wir die Attraktivität der TU für Forschende und Studierende in manchen Bereichen ein und verzichten auf nicht unerhebliche Summen an Forschungsgeldern.”

KI-Militärforschung darf nicht anderen überlassen werden

Mark Rothermel, Vorsitzender der JuLis Darmstadt und KI-Doktorand an der TU Darmstadt, erkennt die nicht zu unterschätzenden Risiken in der Verknüpfung von KI und Militärforschung. “Aber noch schlimmer ist es, wenn wir diese Bereiche Ländern wie Russland und China überlassen”, betont er. Dabei hebt er die Bedeutung der Verteidigung im Informationsraum hervor, besonders gegen Desinformation und Cyberattacken. Rothermel befürwortet, Wissenschaftlern die Wahl zu gewähren, auf welche Weise sie mit ihrer Forschung den größtmöglichen Beitrag zum Schutz und Fortschritt der Gesellschaft leisten. „Die Absicht hinter der Zivilklausel mag ehrenhaft sein, doch in der jetzigen Zeit ist sie genauso überholt wie die Idee der Abrüstung selbst“, summiert er. Außerdem: “In den ethischen Grundlagen meines Informatikstudiums habe ich gelernt, mich kritisch mit Dual Use-Technologien auseinanderzusetzen, also Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können – damals war Dual Use noch negativ konnotiert”, erinnert sich Rothermel. “Heute bedeutet Dual Use eigentlich Win-Win.” Am Ende profitiere von einer Zivilklausel-Abschaffung nicht nur die militärische Forschung, sondern auch die zivile Forschung von der militärischen.

Auch Experten sehen Trennung von Zivil- und Militärforschung kritisch

Die Forderung von JuLis und LHG knüpft an die Empfehlung der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), die die Bundesregierung in Forschungsfragen berät, an. Denn die EFI stellt in ihrem Jahresbericht 2024 (S. 36 f.) bezüglich militärischer und ziviler Forschung fest: “Die strikte Trennung, wie sie jahrzehntelang in Deutschland praktiziert wurde, gilt es grundsätzlich zu überdenken und – wo sinnvoll – aufzulösen.” Der EFI zufolge verzichte Deutschland mit der aktuellen Trennungspraxis bislang weitgehend auf die leistungssteigernde Wirkung von Dual Use und von sogenannten “Spillovers”. Das sind Übertragungseffekte, die sich aus der militärischen Forschung für den zivilen Sektor ergeben. Prominente Beispiele sind GPS und das Internet, welche ihren Ursprung in der Militärforschung haben. Die Leistungs- und Effizienzsteigerungen im zivilen Sektor durch Spillovers seien belegt und Grund für viele Länder zur bewussten Förderung militärischer Forschungsprojekte, wie die USA es mit DARPA tun. Der EFI zufolge sei speziell im KI-Bereich die Schnittmenge zwischen ziviler und militärischer Forschung vergleichsweise hoch, Dual Use also sehr präsent, und “der Bezug zur digitalen Transformation unmittelbar gegeben” (S. 26).

Entsprechend appelliert der LHG-Landesvorsitzende Witzel: “Wir fordern die Hessische Landesregierung dazu auf, sich für die Abschaffung der Zivilklauseln an den Unis in Kassel, Frankfurt und Darmstadt einzusetzen.” Die Lehrstühle sollen bei der Wahl ihrer Kooperationspartner und Projekte nicht in ihrer Freiheit eingeschränkt werden – unabhängig davon, ob ihre Projekte zivilen oder militärischen Nutzen haben.